Schizophrenie verstehen

Schizophrenie verstehen: Wenn die Wirklichkeit sich verschiebt – und was dennoch möglich ist

von Dr. Richard Blokesch, Psychotherapeut (Wien & Online)


Kaum eine Diagnose ist so von Mythen, Ängsten und Fehlannahmen umgeben wie die Schizophrenie. In Filmen wird sie oft als gefährlich inszeniert, im Alltag meist missverstanden. Dabei ist die Realität deutlich differenzierter – und für viele Betroffene trotz der Herausforderungen auch lebbar.

In meiner Praxis begleite ich Menschen, die an einer schizophrenen Störung leiden oder gelitten haben – in unterschiedlichen Phasen, mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Dieser Beitrag soll helfen, das Thema greifbarer zu machen. Nicht dramatisierend, sondern sachlich und mit Blick auf das, was möglich ist.


Was Schizophrenie ist – und was nicht

Schizophrenie bedeutet nicht, „mehrere Persönlichkeiten zu haben“. Vielmehr handelt es sich um eine psychotische Erkrankung, bei der Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Realitätserleben zeitweise stark verändert sein können.

Typische Symptome:

  • Halluzinationen: z. B. Stimmen hören, die andere nicht wahrnehmen

  • Wahnvorstellungen: Überzeugungen, die mit der Realität nicht vereinbar sind (z. B. Verfolgung, Gedankenkontrolle)

  • Desorganisiertes Denken und Sprechen: Gedanken springen, Sätze wirken zusammenhangslos

  • Affektverflachung: Emotionen wirken reduziert oder unpassend

  • Sozialer Rückzug und Antriebsminderung

Die Erkrankung verläuft meist in Phasen: akute Episoden mit starken Symptomen, gefolgt von stabileren Abschnitten. Viele Betroffene erleben nur einmal oder einige wenige Episoden in ihrem Leben – andere ringen mit wiederkehrenden Phasen.


Was im Inneren geschieht

Menschen mit Schizophrenie erleben ihre Symptome oft nicht als „krank“, sondern als real. Die Stimmen, die sie hören, klingen für sie eindeutig. Die Überzeugung, beobachtet oder beeinflusst zu werden, fühlt sich plausibel an.

Für das Gehirn sind diese Erlebnisse „echt“ – selbst wenn sie von außen betrachtet nicht nachvollziehbar sind. Das führt häufig zu Isolation, Misstrauen oder Rückzug – nicht aus „Verrücktheit“, sondern aus einem inneren Versuch, Ordnung im Chaos zu schaffen.


Ursachen: ein Zusammenspiel von vielen Faktoren

Schizophrenie entsteht nicht „einfach so“. Sie ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels aus genetischer Veranlagung, neurobiologischer Empfindlichkeit und belastenden Lebensereignissen.

Risikofaktoren sind u. a.:

  • Familiäre Häufung

  • Chronischer Stress oder Traumatisierung

  • Drogenkonsum (v. a. THC, in hoher Dosis und früher Exposition)

  • Schlafentzug und emotionale Überforderung

Das bedeutet: Niemand „entscheidet sich“ für eine Psychose – und niemand ist schuld. Die entscheidende Frage ist nicht, woher sie kommt, sondern: Wie geht es weiter?


Therapie: Stabilität ist möglich

Medikamentöse Behandlung ist oft der erste Schritt, um akute Symptome zu lindern. Moderne Antipsychotika wirken gezielter als frühere Präparate, sind aber individuell unterschiedlich verträglich. Ziel ist nicht Betäubung – sondern Entlastung.

In der Psychotherapie arbeiten wir begleitend: mit Struktur, Aufklärung, Selbststärkung und Ressourcenaktivierung. Themen sind z. B.:

  • Umgang mit Stimmen oder paranoiden Gedanken

  • Aufbau von Alltag und Selbstwirksamkeit

  • Rückfallprophylaxe und Frühwarnzeichen erkennen

  • Verarbeitung von Stigmatisierung und biografischen Brüchen

Wichtig: Beziehung, Geduld und Stabilität stehen im Vordergrund. Keine schnelle Veränderung – aber ein verlässlicher Prozess.


Angehörige: verstehen, ohne zu verschmelzen

Wenn ein nahestehender Mensch an Schizophrenie erkrankt, ist das auch für Familie, Partner:innen und Freunde eine enorme Herausforderung.
Hilfreich kann sein:

  • Psychoedukation: verstehen, was passiert – und was nicht beabsichtigt ist

  • Eigene Grenzen wahren: mitfühlend, aber nicht aufopfernd

  • Struktur geben, ohne Kontrolle auszuüben

  • Begleitung organisieren – professionelle Hilfe entlastet beide Seiten


Ein Leben mit Schizophrenie – mehr möglich, als viele denken

Ich erlebe regelmäßig, wie Menschen mit dieser Diagnose wieder Lebensfreude, Orientierung und soziale Verbundenheit zurückgewinnen. Nicht, weil „alles weg ist“, sondern weil der Umgang damit wächst.

Mit der richtigen Unterstützung, Geduld und einem wertschätzenden Umfeld ist vieles möglich: Arbeit, Beziehung, Kreativität, Selbstwirksamkeit.

Der wichtigste Schritt ist oft: die Krankheit nicht als Identität zu begreifen – sondern als Teil des Lebens, das dennoch Gestaltungsspielraum lässt.


Wenn du betroffen bist oder jemanden begleitest

Ich begleite sowohl Menschen mit schizophrenen Störungen als auch Angehörige – in Wien oder online. In einem geschützten, urteilsfreien Rahmen schauen wir gemeinsam: Was brauchst du? Was hilft? Was stärkt?

Ein psychotisches Erleben ist nicht das Ende von Autonomie oder Sinn. Es ist ein Ruf nach Halt, nach Ordnung, nach Begleitung.

Und dieser Ruf darf gehört werden.


Dr. Richard Blokesch – Psychotherapie in Wien & Online